Über Gestalt und Form

von überdimensionierten weiblichen Markierungen bei paläolithischen Figurinen

Schlüsselwörter: Prähistorische Figurinen, Externalisierung, Artefakte, Kunstobjekte, Form, Gestalt, Repräsentationsordnung.

Die ersten Menschendarstellungen der (Kunst-)Geschichte sind weibliche Figurinen. Diesem Umstand soll in der vorliegenden Arbeit besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Aus einem Zeitraum von ca. 40.000 bis 12.000 v.u.Z. ist eine große Anzahl von 3,5 bis 22 cm großen Plastiken mit weiblichen Merkmalen erhalten. Dazu gehört die Venus der Höhle Fels (40.000–35.000 v.u.Z.) sowie die etwas jüngere Venus vom Galgenberg (32.000 v.u.Z.) und sie zählen damit zu den weltweit ältesten Darstellungen des menschlichen Körpers.

Man findet bei diesen Figurinen entscheidende Unterschiede im Körperbau. Von schlanken, eng- und flachbrüstigen Plastiken bis zu solchen mit einer starken Betonung des Gesäßes rankt sich eine lange Geschichte der feminilen Formen in der Kunst. Aufgrund des Artenreichtums dieser Figurinen sollte man von einem einheitlichen Diskurs über deren Repräsentation und Bedeutung Abstand nehmen. Doch ein wesentliches Merkmal teilen sie alle: die übermäßig großen Partien im Verhältnis zum Ganzen des Kunstobjekts. Auffallend an ihrer Form ist, dass zugunsten der Betonung bestimmter Teile, wie des weiblichen Geschlechts und der Brüste, andere Teile, wie Arme, Kopf und Beine (Füße), vernachlässigt sind. Die besonders hervorgehobenen Körperteile Gesäß, Bauch und Brüste haben die Wissenschaft dazu veranlasst, eine Fruchtbarkeitssymbolik anzunehmen und bei den Figurinen das Narrativ von einem vorherrschenden Elementarcharakter des großen Weiblichen zu betonen. Die heutige Archäologie belegt die Vielfältigkeit und Diversität der Morphologie und Darstellungsformen der Figurinen. Demzufolge sollen deren Bedeutung und Geschichte auf einer komplexeren Interpretationsebene ausgebreitet und diskutiert werden. Zu diesem Zweck geht dieser Beitrag auf die Frage der Repräsentationsordnung der Figurinen der Altsteinzeit ein, indem er deren Morphologie besondere Aufmerksamkeit zuwendet.

Der Erkenntnisgewinn der semiotischen Wende besteht darin, dass die Bedeutung eines Ausdrucks – sei es ein Bild oder eine sprachliche Vermittlungsform – nicht mit ihrer Darstellung gleichbedeutend ist. Eine geschöpfte Plastik, so wie eine geäußerte Sprachform, ist ein nach außen geäußertes System von Zeichen, wobei die organisierte Materie eine bestimmte Gestalt annimmt. Dass die externalisierte Form eine Idee darstellt, geht zurück auf das klassische hylemorphistische Schema, wobei die Form als Inbegriff einer Idee die Materie informiert und diese infolgedessen eine Idee darstellt. Im Gegensatz zu einem solchen Repräsentationsmodell besteht die Aufgabe hier darin, abseits des hylemorphistischen Schemas die weiblich markierten Figurinen zu einem Zeichensystem umzudeuten, indem ihnen zwar eine Bedeutung, aber nicht die Darstellung einer Idee zuzuschreiben ist.

Ausgehend von diesem methodischen Hinweis, stellt sich hier die Frage, wofür dann die weiblich demarkierten Zeichen stehen. Form und Gestalt stellen keine Idee dar. Sie umfassen vielmehr den Ausdruck einer Lebensform (Husserl) oder einer Momentaufnahme organisierter Materie (Bergson). In diesem Zusammenhang sind Formen als hervortretende Äußerungen, als Exteriorisierungen zu verstehen, die auf eine geäußerte Weltlichkeit Bezug nehmen.

Diese Arbeit verfolgt die Hypothese, dass die weiblich demarkierten Zeichen der Altsteinzeit Äußerungen eines matrixialen Imaginären andeuten. Ist die Externalisierung eines Imaginären Ausdruck eines Kunstwerks?

 

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