Die Göttinnen verfügten über soziale und politische Funktionen. Die Soziologie und die Psychologie bestätigen, dass die Frau im Zentrum der sozialen Bindungsprozesse steht insofern, als sich um sie herum die Gemeinschaft gebildet hat und bildet (Dieter Classens).
Die Frau ist äquivalent mit der Bindungskraft, mit sozialer Kohäsion. Sie versammelt ihren Nachwuchs. Sofern sich um sie herum also die erste, die familiale Gruppe aufhält, entsteht auch die erste Grenze sozialer Einheit (Wilhelm Reich). Sie erbringt außerdem in dieser Funktion wesentliche Vermittlungs- und Interpretationsleistungen, indem sie das Animalische, Pflanzliche, Anorganische, schließlich das Komische des Außen einfängt (Elisabeth vom Samsonow). Die Göttinnen stellen die Kontinuität der sozialen und symbolischen Peripherien sicher, die Immunitätslninien der Gesellschaften als lebendige Membran zwischen dem Innen und dem Außen der Gesellschaften (Arantzazu Saratxaga). Sie sind die Stifterinnen der Genossenschaften.
Wir rollen noch einmal die Frage nach dem Matriarchat auf: Welche Rolle spielen Frauen, Mütter, Mädchen als ausschlaggebende Figuren für die Bildung der Gesellschaften und sozialen Einheiten?
Einerseits führt ein Blick auf die politischen Organisationen und Machtstrukturen matriarchaler Gesellschaften zu einer Archäologie der von Frauen beherrschten Territorien, Praktiken und Ordnungen: Mikropolitische Strukturen, wie das Haus, über das die Frauen herrschten, stehen im Vordergrund einer symbolischen Deutung der Mütterlichkeit: die Mutter als Versorgungsquelle, um die sich die Gesellschaft bildet.
Wie aber spiegelt die Steuerung und Organisation des Privaten in der öffentlichen Sphäre (Verlinkung auf Utes Projekt)? Auf welche politische Verhältnisse ist aus der weiblichen Herrschaft über die Organisation des Hauses zu schließen? Diese Frage lenkt die Aufmerksamkeit auf eine brisante politische Diskussion. Nicht umsonst gehen die Matriarchatstheorien davon aus, dass die Matriarchatsgesellschaften durch eine egalitäre politische Organisationsstruktur gekennzeichnet sind: Ihnen liegt die Bildung des Kooperativen und Gemeinsamen zugrunde (Heide Göttner-Abendroth)
Welchen Strukturen charaktisieren als das Matriarchat? Dass die mutterzentrierten Gesellschaften sich in vor allem in sesshaften geopolitischen Strukturen bildeten (Peter Sloterdijk), ist eine Aussage, die man heute hinterfragen sollte. Vor dem Hintergrund einer Wanderungsbewegung wollen wir den territorialisierten Machtverhältnissen von weiblich organisierten Strukturen nachgehen (Verlinkung auf Utes Projekt)
Das Projekt The Dissident Goddesses‘ Network will die Matriarchatstheorien noch einmal kritisch in Erinnerung bringen (Verlinkung auf Arans Projekt). In diesem Zusammenhang sollen im zeitgenössischen politischen, sozialen und ökonomischen Kontext die Grundlagen egalitärer Gemeinschaftsstrukturen neu gedacht werden.