Die Gesamtpublikation von THE DISSIDENT GODDESSES‘ NETWORK
Nach dreijähriger Laufzeit und intensiven Forschungen und Events wie Symposien, Performances, Vorträgen und Workshops kommt das interdisziplinäre Forschungsprojekt The Dissident Goddesses‘ Network zum – vorläufigen – Abschluss. In diesem Band sind Ergebnisse aus wissenschaftlicher, künstlerischer und transdisziplinärer Forschung vereint, die die Vielfalt der gewählten Ansätze und Methode anschaulich machen und einer weiterführenden Debatte zur Verfügung stellen.
Mit Beiträgen von:
Walpurga Antl-Weiser, Claudine Cohen, Ida-Marie Corell, Heide Göttner-Abendroth, Angela Melitopoulos, Christine Neugebauer-Maresch, Franz Pieler, Ebadur Rahman, Elisabeth von Samsonow, Arantzazu Saratxaga Arregi, Romana Schuler, Maria Stavrinaki
Den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen bildeten die weltweit einzigartigen Funde von prähistorischen weiblichen Figurinen in Niederösterreichs Territorium, die mit den Mitteln der transdisziplinären Annäherung neu diskutiert, in die Gegenwart übersetzt und als Etappe in der Herstellung eines weiblichen Subjektes der Geschichte begriffen werden sollten. Es zeigt sich, dass das Projekt der weiblichen Geschichtsschreibung gleich alt oder ebenso jung ist wie die Kenntnis der prähistorischen weiblichen Figurinen, woraus sich für die Aufgabe der Integration der Ur- und Frühgeschichte in die Geschichte (als dasjenige, welches ihr vorausging und ihr damit auch entkam) eine offene Denkbewegung mit starker selbstreflexiver Note ergibt. Das bedeutet, dass die Archäologie mit ihren verfeinerten Techniken in diesem Projekt eine wichtige Stimme hat, sich aber auch die Kunst, die Kunstgeschichte, die Philosophie, die Soziologie und natürlich die Kulturwissenschaft mit gleichem Recht an diese Objekte, die keine Werkzeuge sind, annähern. Ihre hermeneutischen Verfahren, Kunst zu lesen und damit einen Beitrag zur Konstruktion der Geschichte zu leisten, legitimieren sich dadurch, dass wir diese Figurinen als Information über unsere gemeinsame menschliche Geschichte verstehen, deren Abfassung ein unabgeschlossenes Projekt ist.
Mit dem erwähnten selbstreflexiven Moment werden alle jene Bereiche aufgerufen, die in unserem Projekt eine angemessene Berücksichtigung finden sollten, nämlich vor allem die mit dem Begriffsfamilien des Weiblichen, der Frau, der Mutter, der Tochter und schließlich der Göttinnen in Beziehung stehen. Aus diesem Grund spielen feministische, feministisch-ökonomische, ökofeministische und eco art Recherchefelder, Methoden und Praxen eine wichtige Rolle. Der Begriff der Dissidenz im Projekttitel ist insofern von außerordentlicher Bedeutung, als es nie darum ging, vorgefertigte Ideen, Urteile im Sinne der Vorurteile und ideologische Ladungen wieder aufzurufen, sondern neue Blickwinkel zu suchen, eigene Perspektiven zu entwickeln, anderer Meinung zu sein. Die feministische Agenda diente als Voraussetzung für eine Form der Dissidenz, die nicht nur subversiv oder politisch revolutionär ist, sondern geradezu Programm, nämlich das Programm einer die längste Zeit als minoritär, subaltern, recht -, besitz- und namenlos angesehene Gruppe von Menschen, nämlich der weiblichen.
Dissidenz bringt zurück- und vorausgreifend neue Gesichtspunkte ins Spiel, sie versteht sich als Zeichen der Autonomisierung des Denkens und als Regulativ des gesellschaftlichen Diskurses. Was aber haben die „Goddesses“ damit zu tun, also die Göttinnen im Projekttitel? Das sind wir oft gefragt worden. Die „Göttin“ lässt sich leicht verstehen als Komplement zum Gott, also als Gott, weiblich. Der Fokus auf der Göttin zeigt an, worum es geht, nämlich um einen Ausgleich, der zwar über die politische Durchsetzung der Gleichberechtigung verhandelt worden ist und wird, aber der Unterstützung durch eine gezielte Operation auf symbolischer Ebene bedarf. Die Lehre von der Göttin wird sich auf asymmetrische Weise von der Lehre vom Gott unterscheiden, vor allem, wenn mit diesem ein monotheistischer gemeint ist. Die Lehre von der Göttin ist eine Poesie, die nach dem Plural verlangt, sie umfasst die Gedichte von der vielstimmigen Natur. Es geschah also über den Begriff der Göttinnen und mittels der Konvergenzen zwischen Archäologie, Geologie und Agrikultur, dass wir uns im zentralen Teil des Forschungsprojektes der Erde zugewandt haben, unter dem Titel: Die Erde lesen. Diese Aufgabe beschreibt die für die Gegenwart wesentliche Aufgabe, diese Erde, deren ökologische Krise niemandem verborgen geblieben sein kann, mit anderen Mitteln zu erfassen, ihren Status als Subjekt anzuerkennen, ihren Status als Göttin, d.h. als Göttin innerhalb einer ganz anderen Theologie.
„Die Erde Lesen“ wurde Titel der Ausstellung für die Landesgalerie in Krems und ist ebenfalls ausführlich in der Publikation dokumentiert.
Erhältlich im Verlag der modernen Kunst.